Ich will meine Familie enterben, aber wie? Ein Leitfaden

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Als Anwältin begegne ich täglich den tiefgreifenden menschlichen Geschichten, die hinter dem Wunsch stehen, die eigene Erbfolge individuell zu gestalten. Der Entschluss, nahe Familienmitglieder von der Erbfolge auszuschließen, ist nie leichtfertig. Er wurzelt oft in zerbrochenen Beziehungen, Enttäuschungen oder dem Wunsch, das Lebenswerk in die Hände von Menschen oder Organisationen zu legen, die einem wirklich am Herzen liegen. Doch wie kann man seine Familie enterben? Und welche rechtlichen Grenzen, insbesondere den Pflichtteil, gilt es zu beachten?

Dieser Leitfaden soll Ihnen als erste Orientierung dienen und die komplexen rechtlichen Möglichkeiten verständlich aufzeigen.

Sie wollen Ihre Familie enterben? Kontaktieren Sie mich!

Im Rahmen dieses Artikels kann ich Ihnen nur allgemeine Informationen zum Thema “Familie enterben”  zur Verfügung stellen. Um Ihnen genaue rechtliche Wege aufzuzeigen, was man bei dieser Situation genau unternehmen sollte, sollten wir reden:

    Was bedeutet “Enterbung” rechtlich genau?

    Eine Enterbung bedeutet, dass Sie eine Person, die nach der gesetzlichen Erbfolge erben würde, durch eine letztwillige Verfügung (also ein Testament oder einen Erbvertrag) von Ihrem Nachlass ausschließen. Die gesetzliche Erbfolge tritt immer dann ein, wenn kein gültiges Testament vorhanden ist. Sie folgt einer klaren Rangordnung:

    1. Erben erster Ordnung: Ihre Kinder und Enkelkinder.
    2. Erben zweiter Ordnung: Ihre Eltern und deren Abkömmlinge (also Ihre Geschwister, Neffen/Nichten).
    3. Erben dritter Ordnung: Ihre Großeltern und deren Abkömmlinge (also Onkel/Tanten, Cousins/Cousinen).

    Ihr Ehepartner hat ein eigenes gesetzliches Erbrecht neben den Verwandten.

    Wenn Sie also beispielsweise Ihre Schwester nicht als Erbin möchten, müssen Sie aktiv werden. Ohne Testament würde sie erben, wenn Sie keine Kinder und keine Eltern mehr haben. Eine Enterbung ist also eine bewusste Abweichung von dieser gesetzlichen Regelung.

    Wie kann ich bestimmte Familienmitglieder enterben?

    Die Enterbung an sich ist unkompliziert. Sie müssen in Ihrem Testament lediglich klar zum Ausdruck bringen, wer Ihr Vermögen nicht erhalten soll. Dies kann auf zwei Wegen geschehen:

    1. Explizite Enterbung: Sie schreiben unmissverständlich: „Meine Schwester, [Name, Geburtsdatum], enterbe ich hiermit.“ oder „Meinen Sohn, [Name, Geburtsdatum], schließe ich von der Erbfolge aus.“
    2. Implizite Enterbung (Konkludente Enterbung): Sie setzen eine andere Person als Alleinerben ein. Schreiben Sie zum Beispiel: „Zu meiner alleinigen Erbin setze ich meine Freundin, [Name, Geburtsdatum], ein“, sind alle gesetzlichen Erben automatisch enterbt.

    Die wahre Herausforderung bei der Enterbung ist nicht der Akt selbst, sondern der Umgang mit dem Pflichtteilsrecht.

    Die größte Hürde: Lässt sich der Pflichtteil umgehen?

    Das deutsche Erbrecht schützt einen sehr engen Kreis von Angehörigen vor einer vollständigen Enterbung: den sogenannten Pflichtteil. Pflichtteilsberechtigt sind ausschließlich:

    • Ihre Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel)
    • Ihr Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner
    • Ihre Eltern (aber nur, wenn Sie selbst keine Kinder haben)

    Wichtig: Ihre Geschwister, Neffen, Nichten, Cousins oder Freunde sind niemals pflichtteilsberechtigt.

    Der Pflichtteil ist ein reiner Geldanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Er richtet sich gegen den oder die von Ihnen eingesetzten Erben.

    Beispiel:
    Sie sind verwitwet und haben einen Sohn. Ihr Vermögen beträgt 200.000 €. Gesetzlich würde Ihr Sohn alles erben. Sie enterben ihn und setzen stattdessen Ihren Neffen als Alleinerben ein. Ihr Sohn kann nun von Ihrem Neffen seinen Pflichtteil fordern. Dieser beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, also 50 % von 200.000 € = 100.000 €. Der Neffe erbt zwar formal alles, muss aber 100.000 € an den Sohn auszahlen.

    Das vollständige Entziehen des Pflichtteils ist nur in extremen Ausnahmefällen möglich, etwa wenn der Pflichtteilsberechtigte Ihnen nach dem Leben getrachtet oder ein schweres Verbrechen gegen Sie begangen hat. Eine zerrüttete Beziehung oder fehlender Kontakt reichen dafür bei Weitem nicht aus.

    Wie kann ich meine Schwester oder meinen Bruder enterben?

    Da Geschwister nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören, ist ihre Enterbung am einfachsten.

    Beispiel:
    Sie sind kinderlos, Ihre Eltern sind bereits verstorben. Ihr nächster gesetzlicher Erbe wäre Ihr Bruder. Sie möchten jedoch, dass Ihr Vermögen an einen Tierschutzverein geht.

    Lösung: Sie errichten ein Testament mit dem Inhalt: „Zum alleinigen Erben meines gesamten Vermögens bestimme ich den Tierschutzverein [genauer Name und Adresse des Vereins].“ Damit ist Ihr Bruder vollständig und wirksam enterbt. Er hat keinerlei Ansprüche auf Ihren Nachlass.

    Wie kann ich mein Vermögen gezielt anderen Personen zukommen lassen?

    Wenn Sie die gesetzliche Erbfolge durchbrechen, haben Sie freie Hand, Ihr Vermögen nach Ihren Wünschen zu verteilen.

    • Enkel, Neffen, Cousins oder Freunde als Erben einsetzen: Sie können jede beliebige Person als Erben bestimmen. Wichtig ist eine genaue Bezeichnung (voller Name, Geburtsdatum, Adresse), um Verwechslungen auszuschließen. Sie können eine Person als Alleinerben einsetzen oder mehrere Personen als Erbengemeinschaft zu bestimmten Quoten (z.B. „Mein Neffe Max und meine Freundin Erika erben zu je ½“).
    • Einen Verein oder eine gemeinnützige Organisation bedenken: Auch juristische Personen können erben. Wenn Sie eine gemeinnützige Organisation einsetzen, fällt in der Regel keine Erbschaftssteuer an.
    • Vermächtnisse anordnen: Anstatt jemanden als Erben einzusetzen, können Sie ihm auch nur einen einzelnen Gegenstand oder einen Geldbetrag zuwenden. Dies nennt man Vermächtnis. Beispiel: „Meine Nichte Sabine erhält als Vermächtnis mein Klavier. Meine alleinige Erbin ist meine Cousine Petra.“ Die Erbin Petra muss Sabine dann das Klavier aushändigen.

    Rechtliche Instrumente und Strategien

    Um Ihren Willen sicher umzusetzen, stehen Ihnen verschiedene Werkzeuge zur Verfügung:

    1. Das eigenhändige Testament: Die einfachste Form. Sie müssen den gesamten Text von Hand schreiben und mit vollem Namen unterschreiben. Ort und Datum sind dringend zu empfehlen. Es ist kostengünstig, aber fehleranfällig.
    2. Das notarielle Testament: Sie erklären Ihren Willen einem Notar, der diesen juristisch einwandfrei formuliert und beurkundet. Dies minimiert das Risiko von Anfechtungen und Unklarheiten. Oft ersetzt es nach dem Tod den ansonsten erforderlichen Erbschein.
    3. Der Erbvertrag: Ein zweiseitiger Vertrag, den Sie mit Ihrem zukünftigen Erben vor einem Notar schließen. Er hat eine stärkere Bindungswirkung als ein Testament und kann nicht einseitig widerrufen werden.
    4. Der Pflichtteilsverzicht zu Lebzeiten: Die einzige wirklich sichere Methode, den Pflichtteil auszuschließen. Hierbei schließt der Pflichtteilsberechtigte (z.B. Ihr Kind) mit Ihnen zu Lebzeiten einen notariellen Vertrag, in dem er auf seine zukünftigen Pflichtteilsansprüche verzichtet. In der Praxis geschieht dies oft gegen Zahlung einer Abfindung.

     

    Häufige Fallstricke und wie Sie sie vermeiden

    • Formfehler: Ein mit dem Computer geschriebenes und nur handschriftlich unterschriebenes Testament ist ungültig. Die Folge: Es tritt die gesetzliche Erbfolge ein – genau das, was Sie verhindern wollten.
    • Unklare Formulierungen: Begriffe wie „Ich vermache alles meinen Liebsten“ sind rechtlich wertlos. Benennen Sie Erben immer präzise. Vermeiden Sie schwammige Wünsche und formulieren Sie klare Anordnungen.
    • Übersehen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen: Schenkungen, die Sie in den letzten zehn Jahren vor Ihrem Tod gemacht haben, können den Pflichtteil enterbter Personen erhöhen. Dies wird oft übersehen und führt zu bösen Überraschungen für die Erben.
    • Keine sichere Aufbewahrung: Ein Testament, das nach dem Tod nicht gefunden wird, kann seinen Zweck nicht erfüllen. Hinterlegen Sie es am besten beim Amtsgericht (Nachlassgericht).

    Der Wunsch, die eigene Familie zu enterben, ist ein tiefgreifender Schritt. Er erfordert eine sorgfältige Planung und eine rechtssichere Umsetzung, damit Ihr letzter Wille auch wirklich respektiert wird. Als Fachanwältin rate ich Ihnen dringend, diesen Weg nicht ohne professionelle Begleitung zu gehen. Eine anwaltliche oder notarielle Beratung sichert Ihren Willen ab und schützt die von Ihnen ausgewählten Erben vor langwierigen und kostspieligen Auseinandersetzungen.