Vater stirbt ohne Testament – Wer erbt jetzt eigentlich?

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Als Rechtsanwältin im Bereich Erbrecht weiß ich, wie überfordernd der Moment sein kann, in dem Sie vom Tod Ihres Vaters erfahren – und dann festgestellt wird: Es gibt kein Testament. Viele meiner Mandantinnen und Mandanten sitzen erst einmal fassungslos da, oft kommt die Unsicherheit hinzu: „Wie läuft das denn jetzt mit dem Erbe?“ Vielleicht erkennen Sie sich in dieser Situation wieder. Keine Sorge: Sie sind damit keineswegs allein.

Bei mir im Büro taucht regelmäßig die Frage auf: „Wer bekommt was, wenn mein Vater kein Testament gemacht hat?“ Die Antworten, die das Gesetz liefert, überraschen viele – und sind manchmal nicht unbedingt familienfreundlich oder gerecht. Ich erkläre Ihnen Schritt für Schritt, wie die gesetzliche Erbfolge abläuft, auf was Sie achten sollten und wo Fallstricke lauern können – immer aus der Brille einer Praktikerin.

Ihr Vater ist ohne Testament verstorben? Kontaktieren Sie mich!

Im Rahmen dieses Artikels kann ich Ihnen nur allgemeine Informationen zum Thema “Mein Vater ist ohne Testament verstorben”  zur Verfügung stellen. Um Ihnen genaue rechtliche Wege aufzuzeigen, was man beim Fehlen eines Testaments unternehmen sollte, sollten wir reden:

     

    Kein Testament – was heißt das eigentlich?

    Fehlt ein Testament, gilt: Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) übernimmt das Zepter. Die sogenannte gesetzliche Erbfolge greift. Klingt erstmal ganz okay – ist aber ein recht starres System, das wenig Rücksicht auf individuelle Familienkonstellationen, Herzensangelegenheiten oder komplexe Patchworkstrukturen nimmt.

    Das Gesetz arbeitet mit sogenannten Erbenordnungen. Die wichtigste Grundregel: Verwandte erster Ordnung schließen die Erben zweiter Ordnung aus – und so weiter. Was bedeutet das konkret?

    Kurz & knapp: Die Erbordnungen erklärt

    • 1. Ordnung: Kinder, Enkel, Urenkel (direkte Nachkommen)
    • 2. Ordnung: Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen
    • 3. Ordnung: Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins

    Sind Kinder da, sind die anderen raus – vereinfacht gesagt. Nur, wenn keine Kinder oder Kindeskinder vorhanden sind, schaut das Gesetz weiter.

    Und wie ist das mit dem Ehepartner?

    Hier gibt es regelmäßig Verwirrung – glauben Sie mir, ich erlebe es fast wöchentlich: Der überlebende Ehepartner (also oft Ihre Mutter oder die aktuelle Ehefrau Ihres Vaters) ist von Anfang an mit im Boot – unabhängig davon, wie viele Kinder es gibt. Wie groß ihr Anteil ist, hängt von der Familiensituation und vom Güterstand ab.

    Im Regelfall, sprich Zugewinngemeinschaft:

    • Ehepartner: 50 %
    • Die Kinder (egal ob eins oder mehrere): teilen sich die anderen 50 %

    Zwei Kinder?

    • Mutter: 50 %
    • Kind 1: 25 %
    • Kind 2: 25 %

    Ganz wichtig: Oft wird angenommen, dass der Ehepartner „alles“ bekommt. Das ist in den seltensten Fällen richtig!

    Hat Ihr Vater ein zweites Mal geheiratet?

    Ein typisches Beispiel aus meiner Beratungspraxis: Nach dem Tod der Mutter heiratet der Vater neu. Verstirbt er jetzt ohne Testament, teilt sich die neue Ehefrau die Hälfte des Nachlasses mit allen seinen Kindern – ganz egal aus welcher Ehe. Neue Partnerschaften sorgen emotional gerne für Sprengstoff.

    Von der klassischen Familie bis zur Patchwork-Variante

    Das ganz klassische Modell

    Eltern verheiratet, zwei Kinder. Stirbt der Vater zuerst:

    • Mutter erbt die Hälfte
    • Beide Kinder je ein Viertel.

    Später, nach dem Tod der Mutter, teilen sich die Kinder alles zu gleichen Teilen.

    Getrennt oder geschieden?

    Hand aufs Herz: Eine Scheidung ändert vieles – auch beim Erben. Die Ex-Frau hat mit dem Erbfall Ihres Vaters rechtlich nichts mehr zu tun, gleich wie lange die Ehe bestand. Sind zwei Kinder da, geht alles (je 50 %) an die Kinder.

    Patchwork-Familien: Wer ist überhaupt Erbe?

    Stiefkinder – ein häufiges Thema, das viele überrascht. Nur wer offiziell adoptiert wurde, ist beim Erben gleichgestellt. Andernfalls gehen Stiefkinder leer aus, auch wenn der Kontakt zum Vater eng war.

    Das kann zu heftigen Auseinandersetzungen führen, gerade, wenn sich Erwartungen aufgebaut haben.

    Beispiel:

    Der Vater war ein zweites Mal verheiratet, die Stiefmutter bringt zwei Kinder mit, die nie adoptiert wurden. Dann erben:

    • Stiefmutter: 50 %
    • Das leibliche Kind: 50 %
    • Die Stiefkinder: 0 %

    Unverheiratete Partnerschaften

    Auch wenn das Herz seit Jahrzehnten für den Lebenspartner schlägt – das Gesetz ist hart: Wer nicht verheiratet ist, erbt ohne Testament nichts. Das ganze Nachlassvermögen landet bei den Kindern, sonstigen Verwandten – die langjährige Lebensgefährtin geht leider leer aus.

    Besondere Konstellationen und Stolperfallen

    Einzelkinder ohne verbliebenen Ehepartner

    Manchmal landet das ganze Erbe bei einem einzigen Kind. Klingt unkompliziert? Nicht immer – es häufen sich die Fälle, in denen Cousinen, entfernte Verwandte plötzlich vermeintliche Ansprüche stellen. Hier ist ein wacher Blick gefragt.

    Ehe ohne Kinder

    Waren Ihre Eltern kinderlos, kommt „die zweite Ordnung“ ins Spiel. Nach dem Ehepartner erben die Eltern Ihres Vaters oder, falls diese verstorben sind, die Geschwister. So erklärt sich, warum in manchen Familien die Erbschaft über Umwege bei überraschenden Erben landet.

    Halbgeschwister, mehrere Ehen, großes Kino

    Jeder leibliche Sohn oder Tochter zählt gleich – unabhängig von der Ehe. Patchwork wird rechtlich also fair gelöst. Eine neue Ehefrau erhält stets 50 %, bei drei Kindern (egal, welche Mutter): alle drei teilen sich die zweite Hälfte.

    Wenn mehrere erben: Willkommen in der Erbengemeinschaft

    Ganz offen gesprochen: Mit einer Erbengemeinschaft ist nicht immer gut Kirschen essen. Alles gehört erstmal allen gemeinsam. Das geliebte Elternhaus kann nicht einfach ohne Weiteres verkauft werden, bis tatsächlich Einigkeit herrscht. Entscheidungen brauchen Einstimmigkeit – und das sorgt für „familiäres Ping-Pong“.

    Typische Probleme:

    • Lange Diskussionen, Unstimmigkeiten über Werte
    • Sperrungen von Konten, bis der Erbschein da ist
    • Emotionen kochen hoch, wenn einer schneller verkaufen will als der andere

    Manchmal hilft hier eine externe Moderation (Stichwort Mediator) oder last but not least der Gang zum Nachlassgericht.

    Ganz pragmatisch: Was ist zu tun wenn Ihr Vater plötzlich verstirbt?

    Die ersten Tage

    • Arzt verständigen, Totenschein besorgen
    • Standesamtliche Meldung nicht vergessen (binnen 3 Tagen!)
    • Die Beerdigung organisieren – oft schon mit erstem Zugriff auf Gelder verbunden

    In den folgenden Wochen

    • Wichtige Dokumente sichern: Personalausweis, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Kontoauszüge
    • Erbschein beantragen: Für alle Schritte wie Banken, Grundbuch usw. unverzichtbar
    • Nachlass sichten: Gibt es Immobilien? Konten? Schulden?
    • Erbausschlagung prüfen: Wer ahnt, dass die Schulden den Nachlass überwiegend, kann (und sollte) binnen 6 Wochen ausschlagen. Das ist unbürokratisch und schützt vor bösen Überraschungen.

     

    Kosten und Pflichten nicht unterschätzen

    Der Erbschein kostet Geld – bei großen Nachlässen gern mehrere Hundert Euro. Die Erbschaftsteuer – Freibeträge für Kinder liegen bei 400.000 Euro, für Ehepartner sogar 500.000 Euro. Alles darüber hinaus sollte zügig mit dem Finanzamt gemeldet werden (Frist: drei Monate).

    Und eines kann ich Ihnen nicht oft genug sagen: Ohne Erbschein gibt es bei Bank und Grundbuch keinen Zugriff. Das kann dauern – bringen Sie Geduld mit!

    „Wer nichts regelt, überlässt alles dem Gesetz“ – und das kann Folgen haben

    Ein häufiger Irrglaube: „Ohne Testament erbt sowieso der Älteste alles.“ Falsch! Alle Kinder erben gleich, Geschlecht, Geburtsreihenfolge oder gar persönliche Vorlieben spielen keine Rolle. Ein anderer Mythos: „Ohne Verwandte erbt sofort der Staat.“ Erst wenn bis zu den Urgroßeltern wirklich niemand mehr da ist, greift diese Notlösung – das passiert äußerst selten.

    Wann empfiehlt sich anwaltliche Begleitung?

    Bei Erbstreit, komplizierten Familienverhältnissen, großem Vermögen oder Auslandsbezug: Suchen Sie fachlichen Rat. Das Erbrecht ist komplex – und Streitigkeiten können lange dauern und teuer werden. Mein Tipp als Anwältin: Lieber eine Stunde zu früh fragen als sich Monate lang ärgern.

    Der Blick nach vorn

    Vielleicht merken Sie beim Lesen: Viele Probleme wären mit ein paar Sätzen im Testament zu vermeiden gewesen. Diese Erfahrung machen viele Familien schmerzhaft nach dem ersten Erbfall. Sehen Sie das als Anstoß, möglichst heute selbst vorzusorgen – für Frieden in Ihrer eigenen Familie.

    Fazit: Sie sind nicht allein – und es gibt für fast alles eine Lösung

    Der Verlust eines Elternteils ist immer schmerzlich. Wenn dann noch Unsicherheit herrscht, wie es mit dem Nachlass weitergeht, braucht es neben einer klaren rechtlichen Regelung oft Fingerspitzengefühl, Offenheit und Geduld.

    Als Anwältin kann ich Sie beruhigen: Auch ohne Testament gibt es einen klaren Weg durchs Erbrecht. Wichtig ist, dass Sie sich Zeit nehmen, informieren und im Zweifel Rat einholen.

    Und falls Sie eine Frage haben, die hier nicht beantwortet wurde – melden Sie sich für einen telefonischen Termin, einen Videocall oder einen Termin vor Ort. Kein Fall ist wie der andere und jeder Mensch verdient eine individuelle Lösung für seine Lebenssituation.